Über den Verlauf der folgenden Wochen möchten wir HiWis Ihnen Studien, Projekte und andere interessante Themen vorstellen.
Zum Auftakt unserer Reihe möchte ich, Tim Kortekamp, Ihnen eine Studie vorstellen, welche im Herbst 2022 durch eine Forscher*innengruppe um Tina Christmann von der TU Berlin und anderen Forschungseinrichtungen veröffentlicht wurde. Die Veröffentlichung trägt den Titel „Phenology of grassland plants responds to urbanization“ – zu deutsch also: „Die Phänologie von Grasland-Pflanzen reagiert auf die Urbanisierung“.
Den englischen Volltext finden Sie unter folgendem Link: https://doi.org/10.1007/s11252-022-01302-y.
Hintergrund dieser Studie ist, dass es nach wie vor eine geringere Datenlage für die Einflüsse des Klimas und der Urbanisierung auf die Phänologie von krautigen Pflanzen gibt als für Gehölze.
Für die Studie wurden fünf Modellpflanzen auf 30 verschiedenen Grasland-Standorten auf dem Gebiet Berlins ausgewählt. Bei Grasland bzw. Trockengrasland handelt es sich um anthropogen geprägte, extensiv genutzte Standorte, welche meist ein oder zwei Mal im Jahr gemäht werden. Diese Flächen findet man auf etwa 5 % der Fläche Berlins, z.B. in Parks, als Straßenbegleitgrün, auf Flughafenflächen und Brachland. Sie wurden ausgewählt, da sie im gesamten Stadtgebiet mit unterschiedlich starken menschlichen Einflüssen vorkommen. Grasland-Vegetationen stellen wichtige Ökosystemdienstleistungen bereit, welche durch Änderungen des lokalen Klimas beeinträchtigt werden können.
Landschaftspark Johannisthal/Adlershof im Juli | Tempelhofer Feld im Mai | Flaschenhalspark im April |
Fotos: Tim Kortekamp |
Die fünf ausgewählten Arten setzen sich aus zwei einjährigen Kräutern (Sand-Hornkreut Cerastium semidecandrum, Ackerklee Trifolium arvense), zwei mehrjährigen Gräsern (Rotes Straußgras Agrostis capillaris, Raublatt-Schwingel Festuca brevipila) und einer mehrjährigen krautigen Pflanze/Staude (Silber-Fingerkraut Potentilla argentea) zusammen. Diese Arten sind typisch für Grasland-Ökosysteme und kamen in statistisch relevanten Häufigkeiten auf den Studienflächen vor. Für jede Art wurden pro Standort sechs feste Individuen wöchentlich beobachtet.
Ackerklee (Trifolium arvense) | Silber-Fingerkraut (Potentilla argentea) | Grasland im Brandenburg |
Fotos: Elke Zippel, Dahlemer Saatgutbank, Botanischer Garten Berlin |
Im Projekt Pflanze KlimaKultur! haben wir einen ähnlichen Anzatz verfolgt: die wöchentliche Bobachtung ausgewählter Arten durch unsere Projektteilnehmer*innen.
In dieser Studie wurden die phänologischen Stadien mittels der BBCH-Skala aufgenommen. Dabei handelt es sich um einen standardisierten Code, um die Entwicklung einer Pflanze zu beschreiben. So werden von der Keimung mit Stadium 0, geöffnete Blüten als Stadium 6, der Beginn der Fruchtreife als Stadium 7 und Reife Früchte als Stadium 8 aufgenommen. Siehe dazu auch die Klassifizierung unten.
Um den Einfluss der Urbanisierung und des Mikroklimas auf die gewählten Arten zu erforschen, wurden die Durchschnitts-, Tag- und Nachttemperaturen mittels Klimaloggern aufgezeichnet, sowie die Phänologie der Blüte und der Samenreife beobachtet. Dadurch sollen Einflüsse der sogenannten städtischen Hitzeinsel beobachtet werden. Daneben wurde die jeweilige Versiegelung, Geschossdichte und Straßendichte im Umfeld der gewählten Standorte bestimmt.
Ergebnisse
Durch Analysen der aufgenommenen Daten konnten folgende Erkenntnisse gewonnen werden:
- Es gab unterschiedlich starke Einflüsse des Mikroklimas und der Urbanisierung auf die Blütenphänologie:
- Durch eine stärkere Urbanisierung (Definitionen siehe oben) hat sich die Mitteltemperatur besonders später in der Vegetationsperiode erhöht.
- Die Arten, welche früh im Jahr blühen, zeigten nur eine geringe Variation im Hinblick auf den Blühbeginn und die Samenreife (C. semidecandrum, F. brevipila). Die anderen, spätblühenden Arten, wiesen standortbedingt starke Unterschiede mit einem bis zu 60 Tage früheren bzw. verzögerten Blühbeginn.
- Entsprechend konnte für die Frühblüher ein signifikanter Einfluss der Durchschnittstemperaturen gezeigt werden. C. semidecandrum blühte mit bei einer Erhöhung der Nachttemperatur um ein Grad 0,85 Tage früher. Gegensätzlich wurde bei F. brevipila der Blühbeginn um 1,9 Tage verzögert durch eine Erhöhung der Tagesmittelwerte um ein Grad.
- Für die spätblühenden Arten konnte kein signifikanter Einfluss der Tages- oder Nachttemperatur festgestellt werden. Ebenso konnten keine signifikanten Einflüsse auf die Samenreife gezeigt werden.
Diese Ergebnisse widersprechen den bisherigen Erkenntnissen in Bezug auf die Phänologie von Gehölzen(!) im urbanen Kontext, welche mit steigenden Durchschnittstemperaturen durchgängig eine frühere Phänologie zeigen. Verglichen mit bisher durchgeführten Studien zur Phänologie von krautigen Pflanzen liegen die Beobachtungen im Bereich der Erwartungen.
Zusammenfassend wird dargestellt, dass die untersuchten Arten unterschiedlich und verschieden stark auf die Temperatur und Urbanisierung reagieren. Es wird jedoch darauf eingegangen, dass weitergehende Studien benötigt werden, um die aufgezeichneten Effekte zu erklären und die Datenbasis für zukünftige Studien zu festigen. Folgende Studien könnten so noch andere Werte wie die Bodenfeuchtigkeit bzw. -trockenheit und Niederschläge messen, sowie eine größere Anzahl an Arten beinhalten und auswerten.
Im Projekt Pflanze KlimaKultur! freuen wir uns darüber die mit Hilfe der Klimalogger aufgenommenen Witterungsdaten - auch besonders der Feuchtigkeitsmesswerte - mit Ihren wöchentlichen Beobachtungen zur Phänologie zu korrelieren, so für unsere Projektpflanzen entsprechende Erkenntnisse zu gewinnen und die Grundlage für weitere Forschungen zu festigen.
Tim Kortekamp