04.09.2023 – Was ist eigentlich Regiosaatgut?

Viele verstehen den Unterschied zwischen heimischen und nicht heimischen Pflanzen, aber das Konzept von gebietsheimischen Arten ist für einige Gärtner*innen noch unbekannt. Hier handelt es sich um einheimische Pflanzen, die sich über viele Generationen in einer bestimmten Region fortgepflanzt und gebietseigene genetische Anpassungen entwickelt haben und besonders gut an die örtlichen Bedingungen angepasst sind.   

Um diese gebietsheimische Vielfalt zu unterstützen und zu erhalten, sammelt man regionales Pflanz- und Saatgut von Wildpflanzen, welches man auch für den Garten erwerben kann. Kürzlich haben wir eine Probe einer regionalen Saatgutmischung aus der Region um Halle und Leipzig erhalten, die wir bei Veranstaltungen an unsere Klimabeetler*innen verteilen möchten. Bei dieser Gelegenheit werden wir die Bedeutung von Regiosaatgut beleuchten und die Verwendung von unseren Saatgutmischungen erläutern (inkl. Hinweise zur Anlage/Pflege) . Unser studentischer Mitarbeiter Tim Kortekamp hat für Sie einen Beitrag vorbereitet, der einen Einblick in das Thema geben wird.

Im Frühling haben bestimmt einige von Ihnen auf Saatgutmischungen zurückgegriffen, um Ihre Gärten oder den Balkon etwas aufzuhübschen und unseren Bestäubern Nahrung zu bieten. Haben Sie darauf geachtet, dass in der verwendeten Blühmischung nur heimische Arten enthalten sind? Oft sind in den Mischungen, welche im Supermarkt oder im Gartencenter zu kaufen sind, Samen von gebietsfremden Arten, züchterisch bearbeitete Sorten anstatt Wildarten oder gar invasive Spezies enthalten.

Stauden-Lupine

Lupinus polyphyllus

Kanadische Goldrute

Solidago canadensis

Riesen-Bärenklau

Heracleum mantegazzianum

von Dietmar Rabich, genutzt unter CC BY-SA 4.0

Drüsiges Springkraut

Impatiens glandulifera

 

Stauden-Lupine (Lupinus polyphyllus) und Kanadische Goldrute (Solidago canadensis) aus Nordamerika, Riesen-Bärenklau (Heracleum mantegazzianum) aus dem Kaukasus oder Drüsiges Springkraut (Impatiens glandulifera) aus Asien kennen Sie vermutlich alle. Bei diesen Arten handelt es sich jedoch um invaive Arten in Deutschland und der EU. Zwar können diese Pflanzen auch unseren heimischen Bestäubern ein reiches Nahrungsangebot bieten, tun dies jedoch meist nur für einen kurzen Zeitraum oder nur für wenig spezialisierte Bestäuberarten. Viele Arten wie oligolektische (auf wenige bis einzelne Nahrungsquellen spezialisiert) Wildbienen können von diesem Nahrungsangebot überhaupt nicht profitieren. Eine solche Wildbiene ist z.B. die Natternkopf-Mauerbiene (Osmia adunca) welche sich ausschließlich von der Gattung Echium (Natternköpfe) ernährt.

Invasive, durch den Menschen in ein Gebiet neu eingeführte Arten finden z.B. hier in Deutschland Standorte vor, welche besonders gut mit ihren Ansprüchen übereinstimmen. So können diese durch ihre Wuchskraft, ihre schnelle Verbreitung oder durch das Fehlen von natürlichen Fressfeinden heimische Arten im Überleben und in deren Ausbreitung hindern. Man spricht von invasiven Arten, wenn diese die Fähigkeit besitzen, heimische Arten zurückzudrängen und ggf. an bestimmten Standorten zu ersetzen. Eine vollständige Liste von EU-weit bedeutenden invasiven Arten mit Abbildungen finden Sie hier: https://www.bfn.de/sites/default/files/BfN/service/Dokumente/skripten/skript574.pdf. Und eine Liste mit weiteren für Deutschland bedeutenden Arten hier: https://www.bfn.de/sites/default/files/BfN/service/Dokumente/skripten/skript352.pdf.

Die Ausbreitung solcher Arten kann ganz zufällig geschehen, indem der Samen durch Tiere an andere Orte verschleppt wird oder durch Wind und Wasser aus dem heimischen Garten „ausbricht“. Die Gefahr der Verfälschung der Flora geht nicht nur von invasiven Arten aus, sondern kann auch bei der Verwendung heimischer Arten passieren, etwa über das zufällige Einkreuzen von Zuchtsorten. Züchtungsziele sind bei Blühpflanzen häufig ein einheitliches Erscheinungsbild und ein gleichmäßiger Wuchs, was im Züchtungsprozess durch Inzucht/Selbstbestäubung erreicht werden kann. Dadurch geht die Anpassungsfähigkeit an sich ändernde Umweltbedingungen verloren. Auch für Bestäuber können Zuchtsorten mit gefüllten Blüten Nachteile bedeuten. Sie mögen für uns schön anzuschauen sein, jedoch sind die Blüten häufig steril und bieten keinen Pollen oder Nektar als Nahrung für Bestäuber.

Dahlia

 Links: Eine gefüllte Dahlie der Sorte 'Orange Nugget'

Rechts: Die ungefüllte Sorte 'Schloß Reinbeck'
Bei der gefüllten Sorte sind die reproduktiven Organe in sterile Kronblätter umgewandelt, weshalb kein Pollen produziert wird.

Fotos: Tim Kortekamp

Weniger auffällig, da im Habitus nicht unbedingt erkennbar, aber dennoch bedeutend, kann der Verlust genetischer Vielfalt in Wildpopulationen durch das Einkreuzen von Pflanzenlinien gebietsfremder Herkünfte in lokale Wildpopulationen sein. Durch die lange Anpassungszeit über viele Generationen konnten sich lokale Ökotypen bilden, welche sich perfekt an die jeweiligen vorherrschenden Standortbedingungen, wie das Klima oder Bodenverhältnisse, angepasst haben. Dabei können dieselben Arten von Standort zu Standort in ihren morphologischen und phänologischen Merkmalen voneinander abweichen, z.B. in ihrer Blattform bzw. -größe oder dem Austriebs- und Seneszenzverhalten. So können schon kleine Unterschiede im Austriebszeitpunkt zwischen zwei Populationen über das Erfrieren oder Überleben bei Spätfrösten entscheiden.

Wie aber kann ich sichergehen heimisches Saat- und Pflanzgut zu verwenden?

Der Schlüssel liegt im sogenannten „gebietsheimischen Saatgut“, auch Regiosaatgut genannt. Dieses Saatgut wird von heimischen Wildpflanzen aus regionalen bzw. lokalen Beständen gesammelt und dann von spezialisierten Produzenten angebaut und vermehrt. Nach maximal fünf Generationen wird neu gesammelt und der Produktionsbestand erneuert. Genaueres zur Produktion von Regiosaatgut finden Sie hier: https://www.natur-im-vww.de/wildpflanzen/vww-regiosaaten/produktion/.

Für Gräser und Kräuter wurde eine Einteilung Deutschlands in 22 Regionen vorgenommen, in welchen Saat- und Pflanzgut nach den Vorgaben des Bundesnaturschutzgesetzes hergestellt wird und ausgebracht werden darf. Für Gehölze gilt eine Einteilung in sechs Regionen.

 
Skowronek, S., Eberts, C., Blanke, P., & Metzing, D. (2023). Leitfaden zur Verwendung von gebietseigenem Saat- und Pflanzgut krautiger Arten in der freien Natur Deutschlands (647. Aufl.). DE: Bundesamt für Naturschutz. https://doi.org/10.19217/skr647 genutzt unter CC BY-ND 4.0

 

Um sicherzugehen, dass Ihr gewähltes Saatgut tatsächlich den Anforderungen entspricht, können Sie sich auf die Zertifizierungen durch den VWW (Verband deutscher Wildsamen- und Wildpflanzenproduzenten e.V.) oder das sogenannte „RegioZert“ (Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter e.V.) verlassen. Die Zertifikate für Regiosaaten, Regiogehölze und Regiostauden weisen eine gesicherte Herkunft und Qualität aus. Näheres zu den Zertifikaten und zu Bezugsquellen für zertifiziertes Saat- und Pflanzgut finden Sie hier: https://www.natur-im-vww.de/regelwerke-vww-zertifikate-2 und hier: https://www.bdp-online.de/de/Branche/Saatguthandel/RegioZert/RegioZert__-_wie_erkenne_ich_das_/.

Der Einsatz entsprechenden Saatguts kann auch in Ihrem Privatgarten ein Beitrag dazu leisten die heimische biologische Vielfalt zu erhalten.

Seit 2020 ist der Einsatz von gebietsheimischem Saatgut in der freien Landschaft sogar gesetzlich verpflichtend und das Ausbringen oder Anpflanzen anderer Arten benötigt einer Genehmigung. In der freien Landschaft bedeutet, z.B. an Straßenrändern, in naturbelassenen Bereichen von Siedlungsräumen, bei der Renaturierung von Tagebauen oder auf Ausgleichsflächen für Naturschutzprojekte. Auch Blühstreifen an Wegrainen landwirtschaftlicher Flächen gehören dazu. Solche, die direkt auf Ackerflächen angelegt werden jedoch nicht. Das regelt § 40 des Bundesnaturschutzgesetzes. Genaueres dazu finden sie beim BMUV: https://www.bmuv.de/themen/naturschutz-artenvielfalt/artenschutz/nationaler-artenschutz/foerderung-von-gehoelzen-und-saatgut-gebietseigener-herkunft.

Freundlicherweise wurde uns durch Sandra Dullau von der Hochschule Anhalt eine VWW-zertifizierte Blühwiesenmischung bereitgestellt, welche wir gerne bei kommenden Veranstaltungen an unsere Teilnehmenden ausgeben möchten. Frau Dullau ist Wissenschaftlerin mit Forschungsschwerpunkten zum Naturschutz, Grünflächen und für Renaturierung, sowie selbst auch Teilnehmerin im Projekt Pflanze KlimaKultur!.

Es handelt sich dabei um eine Wildpflanzenmischung für eine urbane Blühwiese mit 38 Arten. Die Blühmischung stammt aus dem Gebiet um unsere Projektstädte Leipzig und Halle. Achten Sie in Berlin und Jena daher besonders darauf, das bereitgestellte Saatgut nur im Privatgarten einzusetzen. Der optimale Saatzeitpunkt ist im September. Die genaue Zusammensetzung können sie unter folgendem Link als PDF herunterladen: https://www.mdr.de/mdr-garten/pflanzen/saatgut-mischung-wildkraeuter-100.html.

Dazu stellen wir Ihnen ein Infoblatt zur Anlage einer Blühwiese zur Verfügung. In diesem finden Sie Hinweise zur Saatbettbereitung und weitere Pflegehinweise.

Berücksichtigen Sie bitte bei der Aussaat, dass die Blühmischung nur für Ihre Privatgärten gedacht ist und jegliches Ausbringen in der freien Landschaft einer Genehmigung bedarf!

Scharfgarbe

Achillea millefolium

Gelbe Skabiose

Scabiosa ochroleuca

Primula veris AZ 230419 verkl

Echtes Johanniskraut

Hypericum perforatum

Echte Schlüsselblume

Primula veris

 

Ich hoffe Ihnen eine Übersicht über die Bedeutung des Erhalts unserer einheimischen Flora vermittelt zu haben. Vielleicht werden wir uns in Zukunft auch wieder häufiger an heimischen Wildblumen wie Scharfgarbe (Achillea millefolium), Gelbe Skabiose (Scabiosa ochroleuca), Johanniskraut(Hypericum perforatum) oder Schlüsselblume (Primula veris) erfreuen können. Übrigens, diese Arten finden sich auch in der Blühmischung.

P.S. Der Botanische Garten Berlin ist Verbundpartner im Projekt „Wildpflanzenschutz in Deutschland" (WIPs-De), worüber ich Sie in wenigen Wochen informieren möchte.

Text: Tim Kortekamp

Fotos, wenn nicht anders angegeben: Birgit Nordt

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BMBF 252x200
Das Projekt hat eine Laufzeit von Juli 2021 bis Februar 2024 (verlängert bis Dezember 2024) und wird im Rahmen des Förderbereichs Bürgerforschung vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Es gehört zu 15 Projekten, die bis Ende 2024 die Zusammenarbeit von Bürger*innen und Wissenschaftler*innen inhaltlich und methodisch voranbringen und Antworten auf gesellschaftliche Herausforderungen geben sollen.
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