Im Projekt Pflanze KlimaKultur! interessieren wir uns dafür, wie das Stadtklima die Phänologie elf krautiger Pflanzen beeinflusst. Doch was ist das Besondere am Stadtklima und wie lässt es sich bewerten? Dazu erklärt Sebastian Schmidt, HiWi in Leipzig, in diesem Beitrag, wie Leipzig sein Stadtklima analysiert hat und welche Besonderheiten in der Stadtlandschaft Leipzigs dieses beeinflussen. Am Ende finden Sie auch einige Links mit Informationen über die Klimaanalysen in den anderen Projektstädten.
Pflanze KlimaKultur! untersucht die Abhängigkeit der Phänologie krautiger Pflanzen von der Lage innerhalb der Stadt. Eine Prämisse dieser Untersuchung ist die Tatsache, dass sich zentrale, verdichtete Stadtbereiche stärker erwärmen als die weniger versiegelten Stadtränder. Mittlerweile sind die Ursachen dieses sog. Wärmeinseleffekts gut verstanden und es ist sowohl gesellschaftlich als auch politisch ein Problembewusstsein dafür entstanden, welche Herausforderungen immer extremer werdende Hitzeperioden im Zuge des Klimawandels nicht nur für die Lebensqualität, sondern auch für die Gesundheit der Bewohner*innen von (Groß-)Städten darstellen.
In Leipzig werden seit 1997 Stadtklimaanalysen (SKA) durchgeführt, um die thermische Belastung im Stadtgebiet möglichst genau zu erfassen und Lösungsansätze für Problemlagen aufzuzeigen. In diesem Artikel möchte ich Ihnen die aktuelle Analyse aus den Jahren 2017-2021 vorstellen, die sich mit der aktuellen und im Verlauf des Klimawandels zu erwartenden bioklimatischen Belastung im Stadtgebiet Leipzig befasst. Wegen des großen Umfangs kann ich Ihnen hier nur einen groben Überblick bieten, jedoch haben Sie über Links die Möglichkeit, sich bei Interesse weitgehender zu informieren.
Die SKA wurde in zwei Phasen durchgeführt. Den ausführlichen Abschlussbericht von Phase I (2017-2019) mit der Darstellung der Methodik und den Ergebnissen zur aktuellen klimatischen Situation in Leipzig in Form von Klimaanalyse- und Planungshinweiskarten finden Sie HIER, den von Phase II (2019-2021) mit der Darstellung der in Leipzig zu erwartenden Klimaentwicklung und erforderlicher Gegenmaßnahmen finden Sie HIER. Weitere Informationen zum Thema ‚Stadtklima‘ finden Sie HIER auf der Website der Stadt Leipzig.
In Phase I wurden auf Basis aller vorhergehenden Analysen und aktueller Daten u.a. zur Flächennutzung und zum Oberflächenrelief mithilfe des Strömungsmodells FITNAH-3D (vgl. S. 16-19; die folgenden Seitenangaben beziehen sich auf den Abschlussbericht von Phase I) über das gesamte Stadtgebiet die bioklimatische Belastung für den Menschen an einem windstillen, durchschnittlichen Sommertag und die Temperatur- und Luftströmungsverhältnisse in einer windstillen Sommernacht berechnet und sehr detailliert in sog. Klimaanalysekarten graphisch dargestellt (vgl. 38-40 und Anhang). Die Abwesenheit von sog. geostrophischem Wind (aus größeren Wetterlagen) ist die Voraussetzung dafür, dass alleinig die Standorteigenschaften zur Ausprägung der untersuchten klimatischen Verhältnisse führen.
Abb. 1: Stadtklimaanalysekarte für die Situation am Tag. Deutlich zu erkennen ist die starke Erhitzung im Bereich des Stadtkerns, um den Hauptbahnhof mit Gleisanlagen und um größere Industrie- und Gewerbeflächen an den Stadträndern. (Quelle: Stadt Leipzig / GEO-NET Umweltconsulting GmbH) |
Die bioklimatische Belastung am Tage wird in der ‚Klimaanalysekarte Tagsituation‘ als Physiologisch Äquivalente Temperatur (PET) dargestellt (vgl. S. 35-37), die in etwa mit der gefühlten Temperatur vergleichbar ist und sowohl Lufttemperatur, -feuchte, Windgeschwindigkeit, Sonneneinstrahlung als auch den physiologischen Wärmehaushalt des Menschen berücksichtigt. Die Standortverhältnisse am Tage ergeben sich v. a. aus dem Grad der Versiegelung, Begrünung und Verschattung (z.B. durch Bäume), sowie aus der Größe der jeweiligen Fläche, deren Lage in der Stadt und dem Vorhandensein von angrenzenden Grünflächen und Wasser (vgl. S. 37 und 25). Stark versiegelte und kaum verschattete Flächen, wie z.B. der Augustusplatz, der Wilhelm-Leuschner-Platz oder der Bereich um den Hauptbahnhof mit seinen Gleisanlagen erhitzen sich besonders stark.
Der direkt an die Innenstadt grenzende und durch viele Bäume verschattete Johannapark besitzt auch einige Wasserflächen und ist im Vergleich deutlich kühler. Durch seine Nähe zu thermisch stark belasteten Siedlungsbereichen und seiner guten Zugänglichkeit gehört er neben weiteren Parkanlagen und dem Leipziger Auwald zu den Grünflächen mit sehr hoher Funktionalität (vgl. S. 47).
Die bioklimatische Belastung in der Nacht wird in der ‚Klimaanalysekarte Nacht‘ nicht als PET, sondern als normale Lufttemperatur dargestellt, da die PET stark von der Sonneneinstrahlung abhängt, die bei Nacht nicht relevant ist. Hier wird die Wärme vor allem von der Bausubstanz abgestrahlt, sodass eine örtliche Abkühlung nur bei guter Ventilation, d.h. Zugänglichkeit für Kaltluft von außen, erfolgen kann. Grün- und Freiflächen in der Stadt und im Umland dienen als Kaltluftentstehungsgebiete. Hier sind also der Grad der Versiegelung, die Höhe der Bebauung, das Vorhandensein von sog. Ventilationsbahnen und Kaltluftleitbahnen sowie die Nähe zu Kaltluftentstehungsgebieten entscheidend (vgl. S. 38-40).
Abb. 8: Stadtklimaanalysekarte für die Situation in der Nacht (4 Uhr). Bebaute und vor allem stark verdichtete Gebiete sind noch deutlich erwärmt, Grün-/Freiflächen und das Umland schon deutlich abgekühlt. Ebenso erkennbar sind die Pfeilrichtungen der Kaltluftbewegung von kühleren hin zu wärmeren Flächen und deutlich hervorgehobene Pfeile für Ventilations- und Kaltluftleitbahnen, die für die Durchlüftung der Stadt eine besonders wichtige Rolle spielen. (Quelle: Stadt Leipzig / GEO-NET Umweltconsulting GmbH) |
In Phase II wurde mit Hilfe von 19 regionalen Klimamodellen (vgl. S.22; die folgenden Seitenangaben beziehen sich auf den Abschlussbericht von Phase II) die zu erwartende klimatische Entwicklung in Leipzig dargestellt. Hierbei wurden zwei Klimaszenarien ausgewertet: die Einhaltung des 2 Grad-Ziels des Pariser Klimaabkommens (RCP 2.6) und ein realistischeres „weiter wie bisher“-Szenario (RCP 8.5) (vgl. S. 23-28, hier finden Sie auch die Ergebnisse). Zuletzt werden 17 „Maßnahmen für eine klimaangepasste Stadtentwicklung und -planung“ vorgeschlagen (vgl. S. 83), z.B. die Verschattung von Gebäuden, Straßen und (Grün-)Flächen, Dachbegrünung, Entsiegelung und die Begrünung von Gleistrassen (vgl. S. 83-138).
Ein gutes Beispiel für eine klimafreundliche Flächenumnutzung ist das Areal um den Bürgerbahnhof Plagwitz im Westen Leipzigs. Hier wurden weitläufig alte Gleisanlagen renaturiert, Bäume gepflanzt und neue Fuß- und Fahrradwege angelegt.
Für unsere Projektstädte Halle und Jena gibt es vergleichbare Analysen in Kooperation mit dem Deutschen Wetterdienst. Auch die Stadt Berlin führt bereits seit 1991 in regelmäßigen Abständen SKAs durch (die Aktuelle ist von 2014). Ich kann Ihnen die Lektüre sehr empfehlen. Sie werden die Struktur und Entwicklung Ihrer Stadt danach mit anderen Augen sehen.
Text und Fotos, wenn nicht anders angegeben: Sebastian Schmidt